Botanik in Karlsruhe - 300 Jahre Wissenschaft und Gesellschaft
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Botanik in Karlsruhe - immer am Puls der ZeitKarlsruhe wird gewöhnlich mit dem Polytechnikum in Verbindung gebracht, das später zur Technischen Universität und schließlich zum KIT wurde. Nur wenige wissen, dass die Geschichte der Pflanzenwissenschaften viel weiter zurückreicht als die der Ingenieurswissenschaften. Die Anfänge sind sogar älter als die Gründung der Stadt. Schon im 17. Jahrhundert begann Markgräfin Sybilla Augusta damit, sich systematisch mit der Nutzung von Pflanzen auseinanderzusetzen und begründete damit eine Familientradition, in der Pflanzen und Botanik eine wichtige Rolle spielten. Die Stadt war noch im Entstehen, als der Botanische Garten zur Wiege von wissenschaftlichen Durchbrüchen wurde.
KölreuterDer Botaniker ´Joseph Gottlieb Kölreuter wurde nicht nur zum ersten wissenschaftlichen Direktor des Botanischen Gartens ernannt, sondern begann auch im sogenannten Küchengarten mit Experimenten zur Vererbung und legte damit die wissenschaftliche Grundlagen für eine Disziplin, die heute unter der Bezeichnung der Genetik die modern Biologie entscheidend prägt. Sein einfaches, aber bahnbrechendes Kreuzungsexperiment, mit dem er zeigte, dass beide Elternteile symmetrisch zur Vererbung beitragen und nicht nur die Väter, wie man damals allgemein glaubte, ist so wichtig, dass wir es als Demonstrationsversuch nachgestellt haben. Nach vielen vergeblichen Anläufen fand er zwei Arten von Wildtabak, die sich in ihrer Blütenform unterschieden und auch miteinander kreuzbar waren. Damit zeigte er, dass die Nachkommen die Eigenschaften beider Eltern aufwiesen. Dieses Experiment wurde nicht nur von der russischen Zarin Katharina der Großen mit einem Preis ausgezeichnet, sondern markiert auch den Startpunkt von Genetik als Wissenschaft. Ein ganzes Jahrhundert später zog Gregor Mendel aus den Arbeiten Kölreuters (die er detailliert in seinem berühmten Werk zitiert) die Idee, dass die symmetrische Vererbung ja bedeutet, dass alle Merkmale doppelt vorliegen, so dass es sein kann, dass ein Merkmal eines Elternteils durch das Merkmal des anderen Elternteils überdeckt wird. Es wird dann zwar vererbt, bleibt aber zunächst unsichtbar. Er spricht von "nicht sichtbaren Merkmalen".
GmelinDas 19. Jahrhundert begann mit Umbrüchen und Krisen - die Französische Revolution hatte das alte Europa ins Wanken gebracht, die Napoleonischen Kriege löschten ganze Staaten aus und schufen neue. Klimatische Krisen wie das "Jahr ohne Sommer" (1816) kamen hinzu. Carl Christian Gmelin war nicht nur der Direktor des Botanischen Gartens und damit in der Traditionslinie Kölreuters, er war gleichzeitig der Gründungsdirektor des Naturkundemuseums. Er sah die Wissenschaft im Dienste der Gesellschaft und erforschte neue Nutzungsformen von heimischen Pflanzen, um die ökonomische Krise bewältigen zu können. Viele seiner Ideen werden heute unter dem Namen Bioökonomie wieder aufgegriffen und weiterentwickelt. mehr... |
Botanik in Karlsruhe - älter als die Universität!
Karlsruhe zählt zu den jüngeren Universitäten in Deutschland und war ursprünglich als Ingenieurschule konzipiert. Man würde daher denken, dass die Biologie hier sehr jungen Datums ist. Weit gefehlt! Die Karlsruher Botanik ist weit älter als die Universität und diese Geschichte sollte auf diesen Seiten einmal erzählt werden. mehr...
Die Wiege der Pflanzen-Genetik
Nur wenige wissen, dass die Wiege der Genetik in Karlsruhe steht - der Botaniker Joseph Gottlieb Kölreuter bewies mit einem ebenso einfachen wie bahnbrechenden Experiment, dass beide Eltern (nicht nur der Vater, wie man damals gemeinhin glaubte) in gleichem Maße zur Vererbung beitragen. Er kreuzte (nach vielen vergeblichen Vorversuchen) zwei wilde Tabakarten, die sich in ihrer Blütenform unterschieden und zeigte, dass die Kinder genau in der Mitte zwischen den Eltern stehen. Damit gewann er vor etwas mehr als 250 Jahren nicht nur einen von der russischen Zarin Katharina ausgeschriebenen Wissenschaftspreis, sondern hatte damit ohne es zu wissen die Genetik begründet. Ein ganzes Jahrhundert später schildert Mendel in seiner berühmt gewordenen Schrift ausführlich die Kölreuterschen Arbeiten und leitet daraus seine eigenen Versuche ab.
Wein und Revolution
Die Züchtung von sogenannten PiWi-Reben (für Pilz-Widerstandsfähig) kann den Fungizideinsatz im Weinbau um 3/4 reduzieren. Kaum jemand weiß, dass diese Erfolgsgeschichte vor etwa 150 Jahren hier in Karlsruhe begann: Nach dem Scheitern seiner politischen Träume emigrierte der badische Revolutionär Friedrich Hecker in die USA. Dort widmete er sich dem Weinbau und wurde auf die natürliche Immunität amerikanischer Wildreben gegen allerlei Krankheiten und Schädlinge aufmerksam. In einen fast zwei Jahrzehnte währenden Briefwechsel überzeugte er Adolph von Blankenhorn, der in Karlsruhe ein privates Weinforschungsinstitut unterhielt, dass man diese robusten Wildreben doch nutzen könne, um die nach Europa eingeschleppte Reblaus einzudämmen. Hecker versuchte vergebens aus diesen Wildreben ordentlichen Wein zu keltern, aber die Samen, die er Blankenhorn schickte waren der Ausgangspunkt für die heute gängige Praxis, die Reblaus durch Pfropfen der Edelreben auf sogenannte "Amerikaner-Wurzelstöcke" zu unterdrücken. Bis heute ist dies weltweit der wirtschaftlich erfolgreichste Fall von biologischer Schädlingsbekämpfung. Kurz danach begann man, in einem langwierigen und mühsamen Züchtungsprozess durch Einkreuzung dieser Wildreben die Resistenz von dem unangenehmen Geschmack (dem sogenannten "Fuchston" der Amerikanerreben) zu trennen. Diese deutsch-französische Gemeinschaftsleistung überlebte zwei Weltkriege und führte nach etwa 100 Jahren Züchtung zum Erfolg.
Und heute?
Diese Tradition, natürliche Biodiversität von Weinreben dafür zu nutzen, um nachhaltigen Pflanzenschutz zu betreiben, lebt auch heute noch fort, etwa in der weltweit einmaligen Sammlung Europäischer Wildreben (den Stamm-Müttern unserer Weinrebe), in denen wir verschiedene Resilienzfaktoren gegen Krankheiten aufspüren konnten, die durch den Klimawandel befördert werden. Im Oktober 2022 beginnt in der AG Nick das neueste Interreg-Oberrhein-Projekt, Kliwiresse, wo es darum geht, KliWi-Reben (für Klima-Widerstandsfähig) zu entwickeln. mehr... Neben dem Schutz und der Nutzung von Biodiversität arbeiten wir jedoch auch an neuen Technologien, um die Pflanzenzüchtung schneller und gezielter zu machen - in der AG Puchta hat man neue Methoden entwickelt, mit denen man sogar ganze Chromosomen gezielt austauschen kann, so dass man nun versuchen kann, Kulturpflanzen noch einmal neu zu domestizieren und dabei die Einseitigkeiten und Fehler der Vergangenheit (wie etwa den Verlust von Stress-Resilienz) zu vermeiden. mehr...
Und in der Zukunft?
Der Botanische Garten ist für die Forschung des Botanischen Instituts unverzichtbar und hilft dabei, aus den Erkenntnissen der Grundlagenforschung neue Anwendungen hervorzubringen, die für die Gesellschaft von großem Nutzen sind. Die Bedeutung des Botanischen Gartens für das KIT steht (nicht mehr) zur Debatte. Mit der Zusage, ab 2024 in der Kornblumenstraße eine neue Forschungsanstalt zu bauen, haben sich das Präsidium des KIT und das Land Baden-Württemberg letztendlich zur Zukunft des Gartens bekannt. mehr...