Pflanze des Monats Januar: Mistel (Viscum album)

Habitus der Mistel (Foto: M. Sommerfeld)
Die unauffällige Blüte einer männlichen Mistel aus der Nähe betrachtet (Foto: M. Sommerfeld)
Die weibliche Blüte einer Mistel im Detail (Foto: M. Seyfried)

Dieser Halbschmarotzer fällt im Winter besonders auf, denn er behält seine Blätter im Gegensatz zu seinen Wirtspflanzen über den ganzen Winter hinweg: Die Mistel (Viscum album) aus der Familie der Santalaceae.


Vielleicht weil die Mistel gerade im Winter so auffällig ist, muss sie auch für allerlei neckische Weihnachtsbräuche herhalten und spielt in vielen europäischen Mythologien eine interessante Rolle. Wir wollen uns an dieser Stelle aber vor allem mit einigen biologischen Besonderheiten auseinandersetzen.

Meist unbemerkt und unbeobachtet blüht die Mistel im Winter - in Karlsruhe also oft schon im Januar. Die Blüten bleiben zusammen mit den vorjährigen Früchten bis in den April sichtbar. Dass das Blühen so unbemerkt stattfindet, liegt sicher an der Unerreichbarkeit der meisten Misteln hoch oben in der Krone eines Baumes. Und es liegt auch an den sehr kleinen und unauffälligen Blüten. Die Mistel ist windblütig - der Pollen wird oft vom Wind verbreitet, manchmal auch von Fliegen - und sie ist zweihäusig, das heißt es gibt männliche und weibliche Pflanzen. Eine männliche Blüte besteht scheinbar nur aus Staubblättern, die auf den Perigonblättern verwachsen sind, während eine weibliche Blüte aus jeweils vier kurzzipfeligen gelblichen Perigonblättern auf einem unterständigen Fruchtknoten besteht. Aus den weiblichen Blüten werden dann die charakteristischen Früchte der Mistel: weiße Beeren mit meist ein oder zwei Samen, die ungewöhnlicherweise mehrere Embryonen enthalten können. Tatsächlich bildet die Mistel keine erkennbaren Samenanlagen aus, so dass die Embryonen ohne Samenschale frei im Fruchtfleisch liegen. Und genaugenommen hat die Mistel auch keine Beeren, sondern Scheinbeeren, da diese aus einem unterständigen Fruchtknoten entstehen und somit auch Achsengewebe beteiligt ist. Den Drosseln und Mönchsgrasmücken ist dieser feine Unterschied aber egal; sie sind begeisterte Konsumenten der Scheinbeeren. Das zäh-schleimige Gewebe um die Embryonen sorgt für eine reibungslose Darmpassage und klebt die Embryonen auch gleich an den Ästen einer potentiellen neuen Wirtspflanze an.

Als Halbschmarotzer profitiert die Mistel vom Wasser- und Mineralstofftransport ihrer Wirtsbäume. Die auskeimenden "Samen" bilden zunächst eine Haftscheibe auf der Oberfläche eines jungen Zweiges aus und bohren dann gegen dieses "Widerlager" ihre Keimwurzel als Haustorium (Saugorgan) in das Holz des Wirts. Dort finden die Xylemelemente der Mistelwurzel Anschluss an das Xylem der Wirtspflanze; durch hohe Verdunstungsraten zweigt die Mistel dann Teile des Wasserstroms vom Wirt ab. Wegen dieser hohen Verdunstung fühlt sich eine Mistel im Sommer übrigens vergleichsweise kühl an.

Es existieren eine ganze Reihe Mythen und Märchen über Namen und Nutzen der Mistel. Sie wird oft als Giftpflanze angesehen. allerdings ist sie wohl nur schwach giftig, wobei die auf Ahorn wachsenden Exemplare stärker giftig sein sollen. Die im frühen 20. Jahrhundert von Rudolf Steiner propagierte medizinische Bedeutung der Mistel als Krebsmittel ist weiterhin umstritten. Der wissenschaftliche Name Viscum geht auf den gleichen Wortstamm zurück wie der Begriff viskos und bezieht sich auf die schleimig-klebrige Konsistenz der Früchte. Die eher südeuropäisch verbreitete Eichenmistel (mit gelben Beeren) wurde und wird zur Herstellung von Leimruten für den Fang von Singvögeln verwendet. Druiden sahen die Eichenmistel als Geschlechtsorgane der als männlich eingestuften Eiche an. Das Schneiden der Mistel, je nach "Literatur"angabe auch mit einer goldenen Sichel, war eine symbolische Kastration, durch die die Kraft der Eiche auf den Menschen übertragen wurde. In der Edda wird Baldur von seinem blinden Bruder Hödur mit einem Pfeil aus Mistelholz (unabsichtlich) getötet. Die Mutter der beiden, Freya, hatte allen "Erdenwesen" das Versprechen abgenommen, Baldur nicht zu verletzen - aber die Mistel fiel nicht in diese Rubrik. Bei Vergil öffnet ein Mistelzweig Aeneas den Weg zur Unterwelt.