Februar: Stinkende Nieswurz (Helleborus foetidus)

Helleborus
"Blaß vom Zorn des Winters konnten sich Nieswurz und Schneeglocken noch nicht recht entschließen, wirklich Blume zu sein." Bukolisches Tagebuch, 27. Februar 1928

Tatsächlich zählt die Stinkende Nieswurz zu den ersten Pflanzen, die im zeitigen Frühjahr zu blühen beginnen – nur wenig später als ihre beliebtere und ansehnlichere Verwandte, die Christrose. Es liegt freilich nicht nur an der noch sehr jungen Jahreszeit, dass die Stinkende Nieswurz sich „noch nicht recht entschließen“ kann, „wirklich Blume“ zu sein: Ihre Blüten gehen in fließender Weise allmählich aus gewöhnlichen Blättern hervor, und es ist nicht leicht zu entscheiden, wo die Blüte eigentlich beginnt. Hier scheinen Spuren aus der archaischen Frühzeit der Landpflanzen auf, als Fortpflanzung und gewöhnliches, „vegetatives“ Dasein noch nicht wirklich getrennt waren. Je mehr man sich der wachsenden Spitze der Pflanze nähert, umso einfacher gebaut werden die Blätter, umso gelblicher werden sie auch. Es gibt keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Laubblättern und Blütenblättern, die Pflanze scheint gleichsam, je weiter sie in den Luftraum vordringt, allmählich die nährende Funktion der Photosynthese zugunsten der verzehrenden Funktion der Fortpflanzung aufzugeben. Johann Wolfgang von Goethe war von der Stinkenden Nieswurz fasziniert, weil hier die „Metamorphose der Pflanzen“ besonders eindrücklich zu Tage trat: die Organe der Blüte konnte er so als verwandelte Blätter deuten. An der Stinkenden Nieswurz fand er sogar zwischen Kronblättern und später angelegten Staubblättern allerlei fließende Zwischenformen. Er schloss daraus, dass alle Organe der Pflanze zu tiefgreifenden Wandlungen befähigt sind und ineinander umgewandelt werden können. Diese in seinem gleichnamigen Buch niedergelegten Erkenntnisse haben, zwei Jahrhunderte später, immer noch Gültigkeit – wenn Blütenorgane wirklich Blätter sind, lohnt es sich, nach den Faktoren zu suchen, die bestimmen, welches Schicksal eine junge Blattanlage einnehmen wird. Wenn solche Faktoren ausfallen, sollte dann immer noch ein Blatt gebildet werden, dessen Ausprägung (seine „Metamorphose“) wäre aber verändert. Goethe beschrieb solche Fälle – heute würde man diese als Mutanten bezeichnen. Die Untersuchung solcher abweichenden „Metamorphosen“ führte vor etwas dreißig Jahren zu den Genen, die Blütenbildung bestimmen.

 

Die Blüten der Stinkenden Nieswurz reichern so viel Nektar an, dass die in der Natur überall vorkommenden Hefen noch auf der Blüte einen Gärprozess in Gang setzen, der sehr viel Wärme freisetzt. Dadurch kann die Blüte bis zu 8°C wärmer sein als die noch kalte Umgebung, was für eine früh aufgestandene Hummel natürlich sehr anziehend ist. Wie die meisten anderen Hahnenfuß-Gewächse auch, ist die Stinkende Nieswurz giftig – sie enthält das Saponin-Steroid Helleborin, was auch den Niesreiz auslöst, der für den Namen Pate stand. Der Nutzen dieser merkwürdig archaischen Pflanze für uns Menschen beschränkt sich jedoch nicht darauf, dass sie uns Einblicke in die Gesetze der pflanzlichen Entwicklung gewährt hat: Bis in die Neuzeit hinein wurde sie als eines der wirksamsten Mittel geschätzt, um die allgegenwärtigen parasitischen Würmer auszutreiben. In neuester Zeit ist das Interesse an ihren medizinischen Wirkungen wieder erwacht, weil Extrakte aus der Wurzel der Stinkenden Nieswurz wohl vielversprechende Wirkungen gegen Leukämie-Zellen entfalten.