2016_04: Intelligenter Reis

In dieser Arbeit zeigen wir, dass Reis Trocken-, Salz- und Alkalistress unterscheiden kann und dabei einzelne Stressfaktoren je nach Situation unterschiedlich deutet.

Worum geht es?

Die Fähigkeit, sich an widrige Umstände anpassen zu können, ist die Überlebensstrategie der Pflanzen - Pflanzen können ja nicht weglaufen, wenn ihnen die Situation nicht zusagt. Uns beschäftigt dabei die Frage, wie die Pflanze, je nach Umständen unterschiedlich reagiert. Bei der Untersuchung der molekularen Vorgänge stellte sich heraus, dass für die frühen Reaktionen immer wieder dieselben Moleküle eingesetzt werden. Die stoffliche Natur der frühen Signale können also nicht für die Verschiedenheit der Reaktion verantwortlich sein. Im Laufe der Zeit entwickelten wir das Konzept einer "Grammatik der Stress-Reaktion", wonach wie bei der menschlichen Sprache durch Kombination von Signalen neue Bedeutungen entstehen. Diese sogenannte Signaturhypothese haben wir nun an einem Beispiel geprüft:

 

Wie gingen wir vor?

Osmotischer Stress ist weltweit einer der zentralen landwirtschaftlichen Probleme: Dürre, Bodenversalzung (eine Folge der künstlichen Bewässerung) und Alkalinisierung sind auf dem Vormarsch und ziehen immense gesellschaftliche Probleme nach sich. Diese drei Formen von Stress erfordern jeweils unterschiedliche Anpassungen der Pflanze - um bei Salzstress bestehen zu können, pumpen die Zellen die Natriumionen in ihre Vacuole, so dass die Zelle ihren Wachstumsdruck erhalten kann, ohne dass die empfindlichen Proteine im Cytoplasma durch die Natriumionen zerstört werden. Diese Strategie hilft gegen Trockenstress überhaupt nicht, weil Natriumionen hier ja gar keine Rolle spielen. Hier müssen in der Wurzel die Zellwände steifer werden, um besser in den harten Boden vordringen und dort die letzten Reste von Wasser besser nutzen zu können. Wie kann die Pflanze entscheiden, welche Strategie zum Ziel führt? Diese drei Spielarten von Stress entsprechen unterschiedlichen Kombinationen von Einzelfaktoren: bei Trockenstress handelt es sich nur um ein osmotisches Gefälle zwischen Wurzel und Boden, bei Salzstress dringen zusätzlich gefährliche Natriumionen in die Zelle ein, bei Alkalistress hat man es eigentlich mit einer Dreierkombination aus osmotischem Gefälle, Ionenstress und Anstieg des pH zu tun. Wir haben nun eine Reissorte aus Ägypten mit diesen Stressarten konfrontiert und dabei die Stärke so eingestellt, dass die osmotische Komponente immer gleich war. 

 

Was war unsere Frage?

Wir wollten nun wissen, ob die Pflanze in ihrer Reaktion bei einer Kombination von Stressfaktoren einfach nur die Reaktionen auf den einzelnen Faktoren abspult. Die Reaktion auf Salzstress wäre dann also einfach nur die Reaktion auf den osmotischen Stress zuzüglich einer Reaktion auf den ionischen Stress. Es könnte aber auch sein, dass die Kombination aus den einzelnen Stress-Faktoren als etwas qualitativ Neues wahrgenommen wird, so wie wir die Summe aus blau und gelb als grün empfinden. Diese Frage untersuchten wir in einem vielschichtigen Ansatz, wobei wir verschiedene Ebenen (Wachstum, Öffnung der Spaltöffnungen, Transport von Ionen, Ionengleichgewichte, Anhäufung von aktiviertem Sauerstoff, Aktivierung von Abwehrgenen, Bildung von Stress-Hormonen) untersuchten.

 

Was haben wir herausgefunden?

Die Pflanzen reagierten eindeutig ganzheitlich - grün war gleichsam mehr als die Summe aus blau und gelb. Salzstress führte zu einer qualitativ anderen Antwort als Trockenstress und Alkalistress rief eine weitere qualitativ andere Antwort hervor. Dabei gab es überraschende Details - eine Reaktion, die bei Salzstress beobachtet wurde, trat bei Alkalistress nicht auf, obwohl die ionische und die osmotische Komponente, die diese Reaktion auslösten, vorhanden waren. Auch für den umgekehrten Fall fanden wir Belege: eine Reaktion, die man für die Einzelkomponente nicht beobachten konnte, trat plötzlich zutage, wenn man die Einzelkomponenten kombinierte. 

 

Was bedeutet das?

Die Stressantworten der Pflanze sind komplex und ganzheitlich. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Pflanzen können offenbar mithilfe kombinatorischer Regeln unterschiedliche Spielarten von Trockenstress unterscheiden und mit einer qualitativ unterschiedlichen (aber immer für diese Situation sinnvolle) Anpassungsreaktion antworten. Die Analogie zum Farbensehen liegt auf der Hand. Auch wenn Pflanzen von aussen gesehen statisch und "dumm" erscheinen, sind sie offensichtlich in der Lage, auch komplexe Umweltsituationen zu analysieren und flexibel und angemessen darauf zu reagieren, eine Fähigkeit, die man gemeinhin mit dem Begriff Intelligenz umschreibt.

 

Veröffentlichung

124. Hazman M, Hause B, Eiche B, Riemann M, Nick P. Different forms of osmotic stress evoke qualitatively different responses in rice. J Plant Physiol 202, 45-56 - pdf