2018_03: Das Parfüm des Todes

Scent_of_Death Peter Nick
Das "Parfüm des Todes" heißt 3-cis-Hexenal und kann über schnellen Abbau der Pflanzenmuskeln den zellulären Selbstmord auslösen.

Worum geht es?

Im Pflanzenreich finden sich geschätzt eine Million sogenannter Sekundärstoffe, deren biologische Funktion oft noch unbekannt ist. Besonders interessant sind flüchtige Komponenten, die vermutlich der chemischen Kommunikation von Zellen untereinander oder gar mit anderen Lebensformen dienen und seit altersher von den Menschen als Aromen, Gewürze oder zur Parfümierung genutzt werden. Bisweilen können solche flüchtigen Stoffe aber auch "missbraucht" werden, wenn nämlich ein Krankheitserreger das Parfüm seiner Wirtspflanze dazu nutzt, um Eintrittspforten zu finden. Vor einigen Jahren konnten wir herausfinden, dass Plasmopara viticola, der Erreger der Rebenperonospora, sich am "Mundgeruch" der Weinrebe orientiert, um so die Spaltöffnungen im Blatt zu finden, wo er dann hineinwächst und das Blatt von innen heraus aussaugt. Wir konnten dann herausfinden, dass hier das kurzkettige Aldehyd Nonanal als Duftstoff wirkt (der Deutschlandfunk berichtete). Um besser zu verstehen, warum die Weinreben diesen Stoff überhaupt bilden, beschäftigten wir uns mit dem Enzym Hydroperoxy-Lyase (HPL), das für die Bildung solcher kurzkettiger Aldehyde verantwortlich ist.

Was kam heraus?

Erst einmal versuchten wir mithilfe von Datenbankanalysen zu verstehen, in welchem evolutionären Zusammenhang sich die HPL überhaupt entwickelt hat. Dabei fanden wir heraus, dass die HPL eine Erfindung der Landpflanzen ist - bei Algen scheint sie zu fehlen, aber schon bei Moosen ist sie vorhanden. Durch eine Mutation im aktiven Zentrum des Enzyms entstand aus der HPL ein zweites Enzym, die Allenoxid-Synthase, der erste Schritt zur Synthese des Stress-Hormons Jasmonsäure (eine Art pflanzliches Adrenalin). Dies deutete schon darauf hin, dass die HPL offenbar etwas mit der Bewältigung von Stress zu tun haben könnte. Nachdem wir das HPL-Gen aus der Rebsorte Müller-Thurgau kloniert hatten, wollten wir erst einmal wissen, wo das Enzym aktiv ist. Dazu wurde mithilfe von Gentechnik das grün-fluoreszentes Protein aus einer Qualle angehängt und das ganze Paket in das Genom von Tabakzellen eingeführt. Mithilfe von spinning-disc Mikroskopie konnten wir dann zeigen, dass die HPL in den Plastiden zu finden ist. Unter Normalbedingungen waren diese Tabakzellen, die ja nun einen hohen Pegel des Enzyms produzierten, nicht weiter auffällig. Das änderte sich jedoch, wenn man sie unter Stress setzte. Neben Salzwasser testeten wir auch bakterielle Proteine, die eine Immunreaktion auslösen können. Unter Stress begingen die gentechnisch veränderten Tabakzellen reihenweise Selbstmord - dieser sogenannte programmierte Zelltod ist die pflanzliche Variante der in der Medizin viel diskutierten Apoptose und spielt eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Krankheiten (die befallene Zelle reißt den eingedrungenen Erreger mit in den Tod und schützt so die benachbarten Zellen vor einer Infektion). Wir packten nun unsere klonierte HPL in Bakterien um, so dass dort das Enzym in hohen Pegeln produziert wurde (die Quallen-Laterne hatten wir dazu wieder abgehängt) und für biochemische Versuche aufgereinigt werden konnte. Nun fütterten wir dieses Enzym mit den mutmaßlichen Vorstufen der Reaktion (diese Vorstufen, 9-HPOT und 13-HPOT entstehen beim Abbau von Membranlipiden). Wir konnten zeigen, dass unsere HPL die 9-HPOT verschmähte, aber die 13-HPOT akzeptierte und daraus ein Gemisch zweier kurzkettiger Aldehyde, 3-cis-Hexenal und 2-trans-Hexenal, herstellte. Wir fragten uns dann, ob einer dieser Aldehyde, sozusagen als "Parfüm des Todes" für die Auslösung des zellulären Selbstmords verantwortlich sein könnte. In der Tat war 3-cis-hexenal ein äußerst wirksames Argument für den Selbstmord, während das spiegelbildliche 2-trans-hexenal wirkungslos blieb. Wenn man Zellen aus der Weinrebe, aber auch richtige Weinblätter, mit diesem "Parfüm des Todes" konfrontiert, reagieren in wenigen Minuten die Muskelfasern der Zelle (die wie bei unseren Muskeln aus dem Protein Actin aufgebauten Fädchen werden komplett abgebaut) und dieser zelluläre Muskelschwund scheint das eigentliche Signal für die das Anwerfen der Selbstmord-Maschinerie zu sein.

Was kann man mit diesem Wissen anfangen?

Der zelluläre Selbstmord ist bei der Weinrebe ein sehr wirksames Instrument zur Bekämpfung von wichtigen Rebkrankheiten, wie der Peronospora oder des Echten Mehltaus. Amerikanische Wildreben, die mit diesen Krankheiten in einer gemeinsamen Evolution entstanden sind, können sich dadurch wehren. In einem fast hundertjährigen Züchtungsprozess ist es gelungen, die entsprechenden Gene in unsere Weinrebe einzukreuzen. Die so entstandenen "PiWi-Reben" (für Pilz-Widerstandsfähig) erlauben es, die Menge an Fungiziden um das 5-10-fache zu vermindern und sind daher wichtige Werkzeuge für einen ökologischen Weinbau. Freilich sind viele Verbraucher diesen PiWis gegenüber skeptisch eingestellt und wollen lieber die altbewährten, aber anfälligen Sorten. Unsere Arbeiten zeigen nun, dass auch "unsere" Weinrebe in der Lage ist, sich mithilfe eines zellulären Selbstmords zu schützen, wenn man sie mit dem "Parfüm des Todes" in Kontakt bringt. Natürlich wäre es Unsinn, unsere Weinberge nun mit 3-cis-Hexenal zu besprühen, um sie immun zu machen. Aber vielleicht finden wir einen Weg, wie man neue Varianten des HPL-Gens aus europäischen oder chinesischen Wildreben einkreuzen und so die Abwehr deutlich steigern kann.

Veröffentlichung

137. Akaberi S, Wang H, Claudel P, Riemann M, Hause B, Hugueney P, Nick P (2018) Grapevine Fatty Acid Hydroperoxide Lyase Generates Actin-Disrupting Volatiles and Promotes Defence-Related Cell Death. J Exp Bot 69, 2883-2896 - pdf