Landrasse-Unkraut: Die zwei Gesichter der Domestizierung

Forschung_Domestizierung
Der Übergang von der Wild- zur Kulturform ist für die Landwirtschaft von hoher Relevanz - in zwei Richtungen, alte Landrassen sind wertvolle genetische Ressourcen, Unkräuter sind oft aus Kulturformen entstanden.

Worum geht es bei dieser Forschung?

Als vor etwa 10000 Jahren der Ackerbau erfunden wurde, war dies ein Meilenstein für die weitere Entwicklung der menschlichen Kultur, weil die Menschen nun nicht mehr umherziehen mussten, um satt zu werden. Es entstanden Siedlungen, Arbeitsteilung und schließlich Staaten. Ohne die Domestizierung von Pflanzen wären wir also nicht da, wo wir heute stehen. Die Domestizierung war jedoch ein langer Weg und vollzog sich nicht auf einen Schlag. Die Spuren der Domestizierung kann man heute noch in den Genen alter Landrassen oder den wilden Vorfahren unserer Kulturpflanzen finden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fuhr der russische Genetiker Wawilow in die entlegensten Winkel unseres Planeten, um diese Spuren zu sammeln und in der ersten Samenbank in St. Petersburg aufzubewahren. Aus dem Vergleich verschiedener Domestizierungsgeschichten gelang es ihm, bestimmte Merkmale vorherzusagen - ähnlich wie der russische Chemiker Mendelejew mit seinem Periodensystem die Eigenschaften von noch gar nicht entdeckten Elementen vorhersagen konnte, konnte Wawilow vorhersagen, wie bestimmte Vorfahren unserer heutigen Kulturpflanzen ausgesehen haben. Manchmal geht der Weg auch in die andere Richtung - dann wird aus einer Kulturpflanze wieder eine Wildform, die dann oft als sogenanntes Unkraut große Probleme macht. Wenn wir nachhaltige und umweltschonende Kontrolle von Unkräutern erreichen wollen, müssen wir diese Evolutionsprozesse besser verstehen, um daraus bessere Strategien für sogenanntes Resistenz-Management zu entwickeln.

 

Wie ist die Idee entstanden?

Im Botanischen Garten haben wir eine Genbank für Wildpflanzen mit Nutzungspotential für Landwirtschaft und Ernährung (WEL), aufgebaut - ein Verbundprojekt gemeinsam mit weiteren drei Botanischen Gärten, die im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz die in Deutschland noch verbliebene Biodiversität für solche Arten bearbeitet haben. Im nächsten Schritt geht es nun darum, diese Vielfalt für eine Nutzung zu erschließen, so wie wir das für die Europäische Wildrebe schon erfolgreich angegangen sind. In Zeiten der Globalisierung genügt es jedoch nicht, innerhalb der nationalen Grenzen zu verbleiben, wir beschäftigen uns schon seit einiger Zeit auch mit Kulturpflanzen, die in subtropischen und tropischen Ländern angebaut werden. Hier kann man in alten Landrassen häufig eine ausgeprägte Resilienz gegen Stress beobachten, die für die Züchtung neuer Kultursorten spannend ist. Im Zusammenhang mit unseren Forschungen zur evolutionären Entwicklung von Reis stießen wir aber auch auf den umgekehrten Weg - es gibt sogenannte "Unkräuter", wie etwa den Roten Scheinreis, der inzwischen einen Großteil der Reisfelder befallen hat und große Ertragsminderungen verursacht. Hier konnten wir am Beispiel Italiens zeigen, dass einzelne Gene aus wilden Verwandten ein Eigenleben zu führen beginnen, so dass eine Kulturpflanze zum Unkraut wird.