2016_01: Kernwanderung und Polarität

Wenn Pflanzenzellen eine neue Richtung suchen, wandert der Zellkern. Diesen Zusammenhang haben wir genauer untersucht und zwei Überraschungen gefunden.

Worum geht es?

Pflanzenzellen zeigen eine ausgeprägte innere Richtung, die sogenannte Polarität. Wie eine Art Elementarmagnet organisiert diese Polarität den Aufbau der Zelle und bestimmt auch den Fluss des Pflanzenhormons Auxin von Zelle zu Zelle. Entlang dieses Auxinflusses organisiert sich der gesamte Pflanzenkörper. Wie entsteht diese zelluläre Richtung? Um dies untersuchen zu können, haben wir ein neuartiges System entwickelt, bei dem wir zunächst Pflanzenzellen ihre Richtung nehmen, indem wir die Zellwand abverdauen. Die so erzeugten Protoplasten sind völlig symmetrisch. Wir können sie in einem eigens hierfür entwickelten Medium dazu veranlassen, sich eine neue Richtung zu suchen und eine neue Zellwand zu regenerieren. Der erste Schritt in der Entstehung einer neuen Richtung ist eine intensive Suchbewegung des Zellkerns, der in der Zelle herumwandert, bis er die Mitte gefunden hat. Erst danach bildet sich die Polarität, es entsteht also "vorne" und ein "hinten". Diese neue Polarität organisiert dann die neu entstandene Zellwand und nach einiger Zeit ist wieder eine völlig normale Zelle mit der für Pflanzenzellen charakteristischen Ausrichtung entstanden. Wie hängt aber nun die Entstehung der zellulären Richtung mit dieser mysteriösen Wanderung des Zellkerns zusammen?

 

Was wurde beobachtet?

Um dies untersuchen zu können, untersuchten wir Kernwanderung und Zellrichtung bei gentechnisch veränderten Zell-Linien unseres experimentellen Modellsystems Tabak BY-2. Hier waren molekulare Komponenten der Kernwanderung hochverstärkt. Der Zellkern wird von einem flexiblen Käfig aus Actin (dem Protein, aus dem auch unsere Muskeln bestehen) eingefasst und dieser Käfig ist über ein nur bei Pflanzen vorkommendes Motorprotein, KCH, mit den Mikrotubuli (der zweiten Komponente des Zellskeletts) verknüpft.  Wir untersuchten daher eine Linie, wo über ein Actinbindeprotein, Lifeact, der Kernkäfig verdickt war, ebenso wie eine Linie, wo die Menge von KCH stark erhöht war, so dass der Kernkäfig enger an die eher steifen Mikrotubuli gekoppelt war. Beide Manipulationen bremsten die Kernwanderung deutlich ab - das war zu erwarten. Überraschend war nun, dass die Neubildung einer Zellrichtung im einen Fall beschleunigt, im anderen aber verlangsamt wurde. Wenn die Kernwanderung die Voraussetzung für die Polarisierung wäre, sollten sich aber beide Manipulationen gleich verhalten. Tun sie aber nicht. Also war unsere ursprüngliche Idee falsch. In der Wissenschaft spricht man davon, dass die Arbeitshypothese experimentell geprüft und verworfen wurde. Eine zweite Überraschung erlebten wir, als wir ein Protein des Kerninnern, Histon 2B, hochregelten. Histone haben die Funktion, DNS zu verpacken und zu verdichten - da das Zellskelett ausserhalb des Zellkerns liegt, sollten Histone auf die Kernwanderung eigentlich keinen Einfluss haben. Haben sie aber und zwar einen ziemlich drastischen. Die Wanderung des Zellkerns war nicht nur stark verlangsamt, der Zellkern spaltete sich sogar in kleinere Lappen auf und zerbrach beinahe.

 

Was bedeutet das?

Diese zunächst unerwarteten Beobachtungen führten uns dann zu einer neuen Vorstellung der Kernwanderung: Die Kernwanderung ist nicht die Ursache der Zellpolarität, aber beide Phänomene haben dieselbe Ursache - die mechanischen Kräfteverhältnisse im aus Actin und Mikrotubuli bestehenden Zellskelett. Das flexible Actin überträgt Zugkräfte (so wie ein Gummiband), die starren Mikrotubuli übertragen Druckkräfte (so wie ein Holzbalken). Gemeinsam können sie die Kräfteverhältnisse über die ganze Zelle hinweg integrieren und damit kann die Zelle ihre Geometrie erkunden. Übrigens ist das gar nicht so weit weg von unserer eigenen Körperwahrnehmung: die Muskelspannung, die wir aufwenden müssen, um unsere durch Knochen versteiften Gliedmaßen zu halten oder zu bewegen, erlauben es uns, selbst mit geschlossenen Augen genau zu wissen, wo sich unsere Körperteile gerade befinden. Auch den Einfluss der Histone können wir erklären - aus früheren Arbeiten, wo wir den Actinkäfig mithilfe einer neuen mikroskopischen Technologie (sogenannte super resolution microscopy) mit 20 nm Auflösung sichtbar machen konnten, wissen wir, dass der Zellkern nicht vom Actin gezogen wird, sondern eher in einer Art Peristaltik gequetscht wird. Dabei wird der Actinkäfig an einer Stelle ausgebeult und das Innere des Zellkerns - die in Histone verpackte DNS - fliesst wie zäher Honig langsam in diese Beule hinein. Durch die Hochregelung des Histons haben wir das Kerninnere noch zäher gemacht und dadurch wird nicht nur die Fortbewegung des Kerns verlangsamt, sondern die verringerte Flexibiliität führt dazu, dass unterschiedliche Kräfte den nun spröde gewordenen Kern in verschiedene Teile spalten können.

 

Veröffentlichung

122. Brochhausen L, Maisch J, Nick P (2016) Break of symmetry in regenerating tobacco protoplasts is independent of nuclear positioning. J Int Plant Biol, 10.1111/jipb.12469 - pdf