2017_04: Empfindsame Muskeln

Pflanzenmuskeln als Sinnesorgane? Diese kühne Idee haben wir experimentell überprüft und bestätigt.

Worum geht es?

Unsere Muskeln bestehen aus einem Protein namens Actin, das sich zu Fasern organisiert und diese mithilfe von Myosin-Motoren gegeneinander verschieben kann. Die so entstehende Verkürzung der Muskeln ist das Geheimnis unserer Beweglichkeit. Seltsamerweise kommt Actin auch in Pflanzen vor, obwohl sich diese nicht bewegen. Seit über zwei Jahrzehnten versuchen wir herauszubekommen, wozu. Dass man mit Actin Dinge innerhalb einer Zelle bewegen kann, ist inzwischen gut belegt, aber auch sehr träge Zellen sind voll mit Actinfasern, die vor allem unterhalb der Membran zu finden sind und sich fortwährend auf- und umbauen. Wir vermuten schon lange, dass dieses Actin gar nicht so sehr ein Werkzeug der Bewegung ist, sondern eher ein Werkzeug der Wahrnehmung. Vor einigen Jahren konnten wir zeigen, dass Actin gemeinsam mit dem Pflanzenhormon Auxin einen Schwingkreis aufbaut, der es einzelnen Zellen in einem Gewebe erlaubt, sich selber zu einem Ganzen zu organisieren. Zugegebenermaßen eine kühne Idee, die aber sehr viel erklären kann.

 

Können wir diese Idee experimentell überprüfen?

Auch wenn Actin sehr dynamisch ist und diese Dynamik abhängig von Auxin steuert, heißt das noch lange nicht, dass Actin eine Sinnesfunktion ausübt. Wenn es eine solche Sinnesfunktion tatsächlich gibt, dann müsste durch eine Veränderung des Actins die Antwort der Zellen auf Auxin verändert sein. Genau diese Idee haben wir experimentell überprüft. Dazu haben wir transgene Tabakzellen eingesetzt, bei denen ein actin-bindendes Protein, Fimbrin, hochgeregelt ist. An dieses Fimbrin haben wir ein leuchtendes Quallenprotein (Grün Fluoreszentes Protein) angeheftet, was es uns erlaubt, die Actinfasern in lebenden Zellen sichtbar zu machen. Diese Fluoreszenz war in dieser Studie aber nur ein Beiprodukt - interessant für uns war, dass die Actinfasern durch das Überangebot von Fimbrin etwas träger waren als in den nicht-transformierten Zellen. Wir untersuchten nun, ob diese Zellen Auxinsignale auf andere Weise wahrnehmen. Dazu wurden die Zellen mit verschieden starken Auxinsignalen konfrontiert und danach gemessen, wie sich typische Auxinantworten verändern.

 

Was kam heraus?

In der Tat waren viele Auxinreaktionen in den Zellen mit "trägem" Actin gedämpft, vor allem solche, die mit der Zellteilung in Zusammenhang standen. Wie schnell die Zellen in Antwort auf Auxin in einen neuen Teilungskreislauf eintraten, wie stark die Zellen in einem Faden ihre Teilungen untereinander synchronisierten, wie schnell der Zellkern vom Zellrand in die Zellmitte wanderte, damit dort die Chromosomen getrennt werden können, hing davon ab, wie dynamisch die Actinfasern waren. Interessanterweise gab es aber auch Auxinreaktionen, die durch "träges" Actin beschleunigt waren. Das waren alles Reaktionen, die nach Abschluss der Teilungsphase wichtig waren. Wie stark sich Zellen durch Aufnahme von Wasser in die Vacuole vergrößern, wie schnell sich die Zellen eines Fadens voneinander schieden, oder wie schnell sie wieder bereit waren, einen neuen Kultivationskreislauf zu beginnen, hing ebenfalls von der Actin-Dynamik ab, aber in genau entgegengesetzter Weise. Interessant war jedoch, dass in beiden Fällen diese Auxinreaktionen ausgelöst werden konnten, wenn man die Auxinsignale verstärkte. Die transgenen Zellen waren also durchaus in der Lage, auf Auxin zu reagieren, aber sie waren einfach nicht so empfindsam wie die nicht transgenen Zellen. In anderen Worten: die Wahrnehmung von Auxin war verändert. Im Umkehrschluss bedeutet dies: die Zellen nehmen Auxin (das vermutlich wichtigste hormonelle Signal von Pflanzen) mithilfe der Actindynamik wahr.

 

Veröffentlichung

133. Huang X, Maisch J, Nick P (2017) Sensory role of actin in auxin-dependent responses of tobacco BY-2. J Plant Physiol., http://dx.doi.org/doi:10.1016/j.jplph.2017.07.011 - pdf