Mikrotubuli in flagranti

Film statt Schnappschuß - wie drehen sich Mikrotubuli eigentlich wirklich?

Veröffentlichung

Himmelspach, R., Wymer, C.L., Lloyd, C.W., Nick, P. (1999) Gravity-induced reorientation of cortical microtubules observed in vivo. Plant J. 18, 449-453 (54 Zitate, Stand 27.12.2015) - pdf

 

Worum geht es?

 

Unter der Plasmamembran von Pflanzenzellen findet man parallele Bündel von Mikrotubuli. Diese sogenannten corticalen Mikrotubuli dienen als Schienen, an denen, gezogen von Kinesinmotoren, kleine Rosetten entlangwandern, die aus Cellulosesynthase bestehen, dem Enzym, das Cellulose bildet. Diese Rosetten hinterlassen auf der Aussenseite der Membran eine Spur, Fasern aus Cellulose, die sogenannten Mikrofibrillen. In welcher Richtung sich eine Pflanzenzelle ausdehnt hängt von der Richtung dieser Mikrofibrillen ab - die Ausdehnung erfolgt immer senkrecht zur Faserrichtung. Die corticalen Mikrotubuli können nun in Antwort auf Umweltsignale wie Licht, Schwerkraft oder Berührung ihre Richtung ändern und damit ändert sich auch die Achse des Zellwachstums. Auf diese Weise kann die Pflanze ihre Gestalt an die Umwelt anpassen. Das Phänomen wurde am Beispiel des Phototropismus (der Krümmung von Keimlingen zum Licht hin) entdeckt (Nick et al. 1990 - mehr dazu...).

Wie aber können die Mikrotubuli ihre Richtung ändern? Drehen sie sich oder werden sie ab- und in einer neuen Richtung wieder aufgebaut? Um Mikrotubuli sichtbar zu machen, musste man bis dahin fluoreszent markierte Antikörper in chemisch fixierten (also getöteten) Zellen verwenden. Man erhielt also nur Standbilder des Endpunkts. Um vom Standbild zum Film kommen zu kommen, wurde in dieser Arbeit Tubulin aus Schweinehirn gereinigt, fluoreszent markiert und in lebende Zellen eines Maiskeimlings injiziert. Das ist technisch sehr schwierig, weil man den sehr kleinen Saum von Cytoplasma unter der Zellmembran treffen muss. Das markierte Tubulin wird in die Mikrotubuli der Maiszelle eingebaut und macht diese sichtbar. Nun wurden die Maiskeimlinge mit Schwerkraft gereizt, so dass man auf der Oberseite die Umrichtung der Mikrotubuli beobachten konnte. Dabei liess sich erstmals der Übergangszustand sichtbar machen - dabei fanden sich Mikrotubuli unterschiedlicher Richtung, die kreuz und quer übereinanderlagen. Das war ein eindeutiger Beweis gegen das bis dahin angenommene Modell einer allmählichen Drehung der Mikrotubuli und ein starker Hinweis darauf, dass Mikrotubuli abgebaut und in einer neuen Richtung wieder aufgebaut werden.