2019_01 Alle Reben - Alle Gene

NGS_Vitis Peter Nick
So sieht der bisher umfassendste Einblick in die Evolution der Weinrebe aus. Unsere Sammlung im Botanischen Garten war hier die zentrale Quelle.

Der Botanische Garten des KIT beherbergt einen weltweit einmaligen Schatz - eine Sammlung von Europäischen Wildreben (Vitis sylvestris, die Stamm-Mutter unserer Kulturrebe), die den gesamten in Deutschland noch übriggebliebenen Genpool enthält. Diese Sammlung entstand ursprünglich aus Gründen des Artenschutzes: die letzten, in den Urwäldern der Rheinauen noch überlebenden Wildreben sollten gerettet und im Botanischen Garten vermehrt werden, um sie wieder an geeigneten Standorten anzusiedeln und so diese hochbedrohte Art vor dem Aussterben zu bewahren. Später zeigte sich, dass diese Wildreben es in sich hatten: sie können sich gegen zahlreiche Krankheiten behaupten, unter anderem gegen die infolge des Klimawandels immer mehr um sich greifenden Esca-Krankheit, die in Frankreich und Italien, aber zunehmend auch hierzulande, die Rebstöcke in der Blüte ihrer Fruchtbarkeit innerhalb weniger Tage dahinraffen kann.

Das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz hat die Bedeutung dieser Sammlung erkannt und sie daher in den Nationalen Plan der Pflanzengenetischen Ressourcen aufgenommen, weil man damit neue Rebsorten züchten kann, die widerstandsfähiger sind und daher weniger Fungizide benötigen. Unsere Sammlung hat sich jedoch auch international herumgesprochen. Vor etwas mehr als drei Jahren trat die Chinesische Akademie der Wissenschaft an uns heran, ob sie diese Sammlung durchsequenzieren dürfe. Nachdem ein entsprechender Vertrag geschlossen war, wurde die DNS unserer Wildreben nach China verschickt und zwei Jahre später wurden die Sequenzdaten in einer mehrwöchigen Aktion per Internet zurücktransferiert (es ist verboten, Festplatten aus China zu verschicken). Dieser riesige Datensatz erlaubte nun, ein umfassendes Bild der Evolution der Weinrebe zu entwerfen und wird auch in der Zukunft noch zahlreiche Facetten aus der Geschichte unserer Kulturrebe offenbaren. Diese Arbeit ist nun von der hochrangigen Fachzeitschrift Nature Communications angenommen worden.

Inzwischen haben wir aus dieser riesigen Datenmenge eine Datenbank erzeugt, wo man für jedes Gen von Interesse nachschauen kann, welche Spielarten in unserer Sammlung vorhanden sind. Damit haben wir in unserem Botanischen Garten nicht nur alle Reben, sondern auf unseren Rechnern auch alle Gene, so dass wir nun für jedes beliebige Merkmal von Interesse feststellen können, welche unserer Wildreben als Züchtungspartner taugt. Damit ist unsere genetische Ressource auf eine neue Stufe gehoben worden und mit diesem Pfund werden wir natürlich in den kommenden Jahren noch wuchern. Inzwischen haben wir damit begonnen, die kurz vor der Auslöschung befindliche Biodiversität der Wildreben aus Armenien zu retten. Diese etwa 70 armenischen Reben sind auch deshalb so spannend, weil die Geschichte des Weinbaus vor etwa 8000 Jahren im Kaukasus begonnen hat. Wir erhoffen uns hier spannende Einblicke in die Geschichte der Domestizierung. Unsere Partner in China sehen das genauso und sind gerade dabei, die Genome dieser Reben ebenfalls zu entschlüsseln.

Die Wildrebensammlung des Botanischen Garten des KIT wird als auch international immer mehr an Bedeutung gewinnen.